Die österliche Vorbereitungszeit

In der Fastenzeit ziehen wir gleichsam im Geiste mit Jesus hinauf nach Jerusalem (Mk.10,32). Die Jünger damals sind erschrocken, als Jesus diesen Weg einschlug. Es war ja in aller Munde, wie sehr Ihm die Hohenpriester und Schriftgelehrten nach dem Leben trachteten. Und wir wissen aus dem Neuen Testament, dass Jerusalem auch tatsächlich der Ort wurde, wo Jesus hingerichtet wurde, indem Er Sein Leben für uns am Kreuz hingab.
So fällt es den Jüngern schwer, Jesus auf diesem Weg zu begleiten. Eigentlich sollte der Weg nach Jerusalem ja eine Freude sein. Jerusalem mit seinem Tempel war ja eine heilige Stadt, die Stadt Gottes schlechthin, der Ort, wo sich Himmel und Erde am nächsten sein sollten. „Ich freute mich, als man mit sagte: ‚Wir pilgern zum Hause des Herrn’“, jubelt Psalm 122, ein altes Wallfahrtslied.
Warum ist der Weg dorthin nun aber so traurig, so schrecklich geworden? Jerusalem ist zur Stadt geworden, über die Jesus geweint hat, die Stadt, der Gott höchste Gnaden anvertraut hat, die aber ihr Herz von der Liebe zu Gott abgewandt hat. „Als Er näherkam und die Stadt erblickte, weinte Er über sie und sagte: ‚Wenn doch auch du erkannt hättest an diesem deinem Tag, was dir zum Frieden dient… Es wird eine Zeit über dich kommen, da deine Feinde … keinen Stein in dir auf dem andern lassen, weil du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast“ (Lk.19,41ff.).
Heimsuchung hat hier zunächst keinen negativen Sinn, sondern eher den von „besuchen“ und „heimholen“ wollen. Gott will ja nicht den Tod des Sünders, sondern seine Umkehr. „’So wahr ich lebe’ – Spruch des Gebieters und Herrn – ‚ich habe kein Wohlgefallen am Tod des Frevlers, sondern daran, dass der Frevler sich von seinem Wandel bekehre und lebe’“, verkündet im Auftrag Gottes schon der Prophet Ezechiel (Ez.33,11).
So sucht Jesus durch Sein ganzes Leben die Menschen und ihr Heil. Er vergleicht sich selbst mit einem Hirten, der 99 Schafe zurücklässt, um einem einzigen verlorenen Schaf nachzugehen (Lk.15,3) und verdeutlicht die Freude im Himmel „über einen einzigen Sünder, der sich bekehrt“ (Lk.15,10) mit dem Bild einer Frau, die eine Drachme verloren und dann wiedergefunden hat (Lk.15,9f.), oder mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn, der wieder heimkehrt und den Vater zu einem Freudenfest veranlasst (Lk.15,11).
Umso erschreckender ist es, was die Evangelisten von der Verstocktheit vieler von denjenigen berichten, zu deren Heil Jesus eigentlich als Messias gekommen ist. Sie hassten Jesus, nicht weil sie das Gute und die Offenbarung der Liebe Gottes in Seinen Taten nicht erkennen konnten, sondern weil sie das Wirken Gottes, der auch ihr Heil suchte, nicht erkennen wollten.
Der Apostel Johannes berichtet, dass Jesus zunächst Richtung Jerusalem zog, nachdem Er vernommen hatte, dass Lazarus krank sei (Joh.11,8). Als Lazarus dann bei der Ankunft Jesu schon verstorben war und Jesus ihn, der bereits vier Tage im Grabe gelegen hatte, wieder von den Toten auferweckt hatte, kamen viele zum Glauben (Joh.11,45).
Merkwürdigerweise aber öffneten die Hohenpriester und viele Pharisäer, also Personen, die von außen betrachtet Gott besonders nahe zu sein schienen, sich auch danach nicht für eine aufrichtige Suche nach der Bedeutung des Wirkens Jesu. Im Gegenteil, sie suchten nun erst recht Seinen Tod und verhärteten so ihr Herz noch mehr, selbst im Angesicht eines so großen Wunderzeichens: „Da beriefen die Hohenpriester und die Pharisäer eine Ratsversammlung und sagten: ‚Was fangen wir an, da dieser Mensch so viele Wunderzeichen wirkt? Lassen wir ihn so gewähren, dann werden alle an ihn glauben; alsdann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute’“ (Joh.11,47f.). Ja, „die Hohenpriester beschlossen“ sogar, „nun auch Lazarus zu töten, weil viele Juden seinetwegen weggingen und an Jesus glaubten“ (Joh.12,10f.).
Jedes Zeichen, das Gott zum Heil der Menschen wirkt, ist eine große Gnade. Da Gott aber den freien Willen des Menschen achtet, wird die angebotene Gnade immer auch eine Anfrage an die Menschen, ob sie auf diese Zeichen der Liebe auch selbst in Liebe zu antworten bereit sind.
Den Zeitgenossen Jesu waren Seine Wunder offenbar, sie konnten sie nicht bestreiten – auch in den jüdischen Schriften der damaligen Zeit werden sie nicht geleugnet! Ebenso konnten auch die Hohenpriester und Pharisäer das Wunder Jesu hier nicht mehr bezweifeln, wie sie es früher versucht haben, indem sie Jesus einen Bund mit Beelzebub unterstellten (vgl. Lk.11,15). Nein, sie geben sogar direkt Zeugnis von den Wundern, die durch die Hand Jesu geschehen sind, indem sie diese als „Problem“ thematisieren, dessenthalben sie meinen, nun Jesus dringend aus dem Weg räumen zu müssen.
Das Kommen Gottes erfüllt sie mit Schrecken und mit Sorge und macht offenbar, wem sie ihr Herz eigentlich geschenkt haben, oder besser, wohin sie es versklavt hatten: Dem Ansehen vor den Menschen. Es war ihnen so wichtig geworden, weil sie darin auch die Basis ihrer Macht sahen, so dass sie die wahre Liebe zu Gott verloren hatten.
Dieser Versuchung des Ansehens sind alle Menschen auf die eine oder andere Weise ausgesetzt. Selbst Jesus hatte der Teufel mit dem Ansehen vor der Welt und mit der Macht, die damit leicht zu gewinnen wäre, versucht, indem Er „Ihm alle Reiche der Welt samt ihrer Herrlichkeit“ vor Augen gestellt hatte, indem er sprach: „Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest“ (Mt.4,9). Hätte Jesus im Nachgeben diesem Ansinnen Satans gegenüber also womöglich König der Welt werden können ohne das Kreuz und ohne Verfolgung? Ein König, wie von vielen erträumt und erwartet, in den Augen der Welt prachtvoll und erhaben, aber ohne das Licht der Liebe und der Wahrheit Gottes? – Machthaber dieser Art gab und gibt es doch schon viele, aber keiner von ihnen konnte und kann den Menschen wirklich Heil und Erlösung bringen, nicht einmal vollkommen im irdischen Bereich, obwohl es schon viele versprochen hatten, erst recht nicht im übernatürlichen, bei dem es um das ewige Heil des Menschen geht! Ist die Weltgeschichte durch die „Handschrift“ dieser Vertreter der Macht nicht in vielfältiger Weise eine Geschichte der Eitelkeit und der Machtgier, des Betrugs und der Gewalt geworden und wurde so nicht immer mehr nur das Versinken der Menschheit in Schuld und Sünde vorangetrieben? Vor allem immer dann, wenn der Mensch versucht, ohne Gott oder gar im Widerstand gegen Gott „groß“ zu erscheinen oder scheinbar „Großes“ zu vollbringen! Immer wieder mussten die Menschen leidvoll erfahren, wie Schreckliches menschliche „Größe“ ohne Gott für die ganze Welt bedeuten kann!
Jesus Christus stieg nicht in dieser aufgeblähten „Größe“ menschlicher Machthaber zu uns hernieder! Sein Königtum und Sein Reich ist von ganz anderer Art: Er herrscht nicht auf irdische Weise durch äußerliche Macht und Gewalt über die Menschen! Er ist König als Schöpfer und Erlöser der Seelen! Ihm geht es nicht darum, weltliche Macht auszuüben, sondern unser Herz für das Gute zu öffnen, für die Liebe befreien und uns vom Bösen wieder zu erlösen, in das wir uns durch unsere Schuld verstrickt hatten!
Gott ist unser Schöpfer und dadurch auch Vater. In Jesus Christus ist Er als der Menschensohn auch unser Bruder geworden, der unser Elend mit uns geteilt hat, der nicht seinen Vorteil sucht, sondern unser ewiges Heil!
Deswegen ist Er Mensch für uns geworden und hat sich hingegeben bis in den Tod für uns, damit wir wieder den Weg zum Heil und zur Liebe Gottes finden und gehen können! „Hinweg, Satan! Es steht geschrieben: Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen“ (Mt.4,10): Indem Jesus auch in seiner Menschennatur diese Versuchung des Teufels ganz entschieden zurückwies, die auf den ersten Blick doch scheinbar so viele „Vorteile“ für Ihn gebracht hätte, hat Er sich ganz bewusst - für uns und unsere Rettung - der Verfolgung durch die Sünder und dem Leid ausgesetzt, um auch in unseren Seelen Liebe, Gnade und Heil auszugießen, damit wir so - von der Sünde befreit – wieder wahre Gotteskinder werden können!
Er hat uns in Seiner Liebe den Weg zu unserem Heil gewiesen und eröffnet! Das Böse in der Welt und in uns können wir nun in Seiner Kraft überwinden, wenn wir zur Nachfolge und so auch zum Opfer in der Liebe bereit sind! Aus eigener Kraft wäre dies für uns, gefallene Menschen, unmöglich. Jesus aber kann uns diese Kraft des Heiligen Geistes schenken, wenn wir uns Ihm im Glauben anschließen, Ihn bitten, uns auf unserem Weg zu begleiten und zu stützen. Er kennt die Schwierigkeiten unserer Zeit und unseres Lebens, er hat alle Leiden der Menschheit am eigenen Leib erfahren, auch die körperliche Schwäche, damit so sogar wir als Seine Geschöpfe und armselige Menschenkinder Ihm, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, auf Seinem Kreuzweg und auf den staubigen Wegen dieser Welt Liebesdienste erweisen könnten!
Und weil wir uns immer wieder neu dieser Seiner Liebe zuwenden sollen und sie auch in unserem Alltag immer wieder neu einüben müssen, ruft die Kirche - und durch sie Christus selbst - uns jedes Jahr neu zu bestimmten Zeiten, besonders in der Zeit vor Ostern und vor den großen christlichen Festen, zu einer besonderen Besinnung auf diese unsere Aufgabe als Jünger hier auf Erden. Es ist ein Ruf zu Umkehr und Buße, weil wir auf keinem anderen Weg als auf dem, den Er selbst gegangen ist, unser Ziel und unser ewiges Heil erreichen können!
Auf den ersten Blick schreckt uns vielleicht der Blick auf das Kreuz und auf manchen Verzicht, zu dem uns die Kirche in der Fastenzeit verpflichtet. Darum fliehen auch manche voreilig und wenden sich ab. In Wirklichkeit aber hat die Liebe Christi das Kreuz zu einem Zeichen des Lebens und der Hoffnung gemacht, in der wir uns aufrichten und durch die übernatürliche Hilfe des Heiligen Geistes stark werden sollen!
Christus hat ja durch Sein Leiden Tod und Teufel besiegt! Unser Weg mit Christus nach Golgotha ist deshalb nicht ein Weg, der nur Tod und Schmerz oder ewiges Erlöschen zum Ziel hat. Christus war kein Fakir, der in seiner Leidensfähigkeit Selbstbestätigung suchte, auch nicht ein Buddha, der das Nichts anstrebte, um dem Übel der Welt zu entkommen!
Christliche Askese ist positiv und lebensbejahend, weil sie als Ziel immer Gottes Liebe vor Augen hat! Er hat uns zuerst geliebt (1Joh.4,19)! Der wahre Gott ist ein Gott des Lebens, der Leben schafft und alles zum Leben erweckt! Gott sucht nicht das Leid, sondern die Liebe! Die Liebe aber schenkt Freude, auch wenn sie in dieser Welt noch durch Leid getrübt ist. Doch die Liebe Christi verklärt selbst das Leid, weil sie die Bezogenheit auf das eigene Ich überwindet und uns an der mitteilenden Freude Gottes Anteil schenkt.
Darum gehören auch beim christlichen Aufruf zur Buße Fasten und Almosengeben immer zusammen! Buße bedeutet christlich gesehen nicht nur die Abkehr von bösen Werken, die durch Verzicht und Fasten unterstrichen wird. Umkehr und Buße sollen sich beim Jünger Jesu vor allem in den guten Werken zeigen, die uns mit der Liebe Christi verbinden! Wer nur fastet und Verzicht übt, gerät leicht in Gefahr, um sich selbst und seine eigenen Befindlichkeiten zu kreisen. Das Almosengeben wendet unseren Blick von uns weg auf die Not anderer und macht uns so Jesus ähnlich, der Sein Kreuz ja nicht für sich, sondern zu unserem Heil auf sich genommen hat!
Wer sich von der Liebe Gottes in scheinbar menschlicher „Klugheit“ abwendet, um aus eigener Kraft und ohne diese Liebe vordergründig scheinbare „Vorteile“ zu gewinnen, in dem kann die Gnade nicht wirken und er verstrickt sich so immer mehr in die Sklaverei der Sünde: „Kaiphas, der in jenem Jahr Hohepriester war, sagte ihnen: ‚Ihr versteht nichts und bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht’“ (Joh.12,49f.).
Die menschliche Berechnung, die aus der Sünde kommt und nur den eigenen Vorteil sucht, führt nicht nur zum Verlust der Liebe, sie führt auch auf einen Weg der Einsamkeit, der Verbitterung, der ich-bezogenen Unfreiheit, des Unheils, der sklavischen Angst, die unser Herz in Ketten legt und uns schließlich oft um dieser scheinbaren, nichtigen „Vorteile“ willen sogar über Leichen gehen lässt, da wir keinen anderen Ausweg mehr sehen (wollen)! Dies ist die Geschichte der Menschheit in der Sünde.
Davon wollte uns Jesus mit Seinem Tod am Kreuz, den Er aus Liebe zu uns auf sich nahm, befreien!
Lassen wir uns durch Ihn in Glaube, Hoffnung und Liebe den Weg des Lebens gehen, zu dem Er uns beruft! Unser Leben hier auf Erden neigt sich mit jedem Tag mehr dem Ende zu, ob wir es mit Jesus gehen oder nicht. Wenn wir Jesus nachfolgen, wird der Tod, obwohl er als eine Folge der Sünde den Charakter einer Strafe trägt, in Wirklichkeit für uns das Tor zum Leben, zur wahren und endgültigen Vollendung und Vereinigung mit Gott in Seiner Liebe!
„Wie dein Sonntag, so dein Sterbetag“, sagt ein altes Sprichwort. Wer in seinem Leben Gott zurückgewiesen hat und sich keine Zeit für gute Werke oder für Gott genommen hat, wofür uns ja besonders der Sonntag, aber auch die Tage der Buße im Kirchenjahr geschenkt worden sind, der wird sich Ihm auch kaum zuwenden können und wollen, wenn der letzte Tag, der endgültige Tag der Entscheidung gekommen ist, wo er seinem Richter gegenübertritt! All unsere Werke, aber auch unsere Versäumnisse treten dann vor unser Angesicht. Die Möglichkeiten zur Umkehr sind dann vorbei, nachdem wir uns im Angesicht unseres Richters endgültig für oder gegen die Liebe entschieden haben.
So wollen wir mit Maria und allen Heiligen, die Jesus auf Seinem schweren Weg begleiteten und Ihm dienten, uns auch selbst auf den Weg mit Ihm machen, um Ihm zu dienen und um in Liebe Anteil an Seinem Leiden für uns zu nehmen. Er selbst wandelt nicht mehr sichtbar unter uns, und doch hat Er uns den Weg gezeigt, wie wir zu allen Zeiten Ihm unsere Liebe erweisen können und sollen: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ (Mt.25,40).
Gott zu dienen führt und hält uns in der Wahrheit und damit auch in der wahren Freiheit! Seine Liebe erfüllt uns mit Leben, Licht und wahrer Freude, weil Gott uns in dieser Liebe Anteil an sich selbst schenkt!
Die Fastenzeit soll uns dazu helfen, in diesem Sinne uns wieder neu zu bemühen, Gott, unseren Herrn zu lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüte, aus all unserer Kraft – und unseren Nächsten wie uns selbst (vgl. Mk.12,30f.)!


Thomas Ehrenberger

 

Zurück Hoch Startseite